07.04.2020
Rechte und Pflichten bei der Kündigung einer Pauschalreise aufgrund des Coronavirus in Italien

Die zunehmende Ausbreitung des Coronavirus hat weltweit zu Reisebeschränkungen geführt, welche fortwährend ausgeweitet werden. Auch in Italien wurde zuletzt das ganze Staatsgebiet abgeriegelt, um die epidemiologische Krise einzudämmen. Dies führt unter anderem dazu, dass beliebte Urlaubsziele nicht mehr zugänglich sind und bereits gebuchte Pauschalreisen nicht mehr angetreten werden können. Sowohl Urlauber als auch Reisebüros sind daher verunsichert und fragen sich, was denn nun bei der Stornierung von bereits gebuchten Pauschalreisen passiert. Die Situation ist auch durch den ständigen Erlass von Notmaßnahmen zunehmend unklar, sodass unter den vielen Rechtsproblemen die Frage bezüglich der Rechte und Pflichten bei der Kündigung von bereits gebuchten Pauschalreisen Bedeutung gewinnt.

Der Pauschalreisevertrag im Tourismusgesetzbuch

In der soeben erläuterten Situation findet in Italien die ordentliche Gesetzgebung durch das Gesetzesvertretende Dekret Nr. 79 vom 23 Mai 2011, welches das sogenannte „Tourismusgesetzbuch“ („Codice del turismo“) beinhaltet, Anwendung. Das Tourismusgesetzbuch wurde mit dem GvD Nr. 62 vom 21 Mai 2018 an die Richtlinie (EU) 2015/2302 über Pauschalreisen und verbundene Reiseleistungen angepasst. Dadurch wurden bestimmte Aspekte der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der EU-Mitgliedstaaten für Verträge über Pauschalreisen und verbundene Reiseleistungen in der gesamten Europäischen Union angeglichen.

Artikel 32 Tourismusgesetzbuchs definiert in detaillierter Weise den Begriff „Pauschalreisevertrag“. Es handelt sich dabei um eine Vertragsart, die sich grundsätzlich durch die Kombination von mindestens zwei verschiedenen Reiseleistungen für den Zweck derselben Reise von anderen touristischen Verträgen unterscheidet. Ein Beispiel für einen solchen Vertrag wäre somit eine handelsübliche Pauschalreise, welche die Anfahrt zum Reiseziel, die Übernachtung und die Rückfahrt beinhaltet. Die Vertragsstruktur ist dabei meistens trilateral, mit den folgenden Rechtspositionen:

• der Reisende („viaggiatore“): jede Person, die einen Vertrag für eine Pauschalreise schließen möchte oder die zu einer solchen Reise auf der Grundlage eines geschlossenen Pauschalreisevertrags berechtigt ist;
• der Reiseveranstalter („organizzatore“): ein Unternehmer, der Pauschalreisen zusammenstellt und sie direkt oder mittels eines anderen Unternehmens zum Verkauf anbietet (sogenannter „tour operator“);
• der Reisevermittler („venditore“): ein Unternehmer, der kein Reiseveranstalter ist und Pauschalreisen, die von einem Reiseveranstalter organisiert wurden, verkauft oder anbietet (sogenannter „travel agent“).

Sowohl der Reiseveranstalter, als auch der Reisevermittler können dabei die Rechtsform eines Reisebüros einnehmen (Art. 18 Tourismusgesetzbuch). Die Qualifikation des Unternehmers als Reiseveranstalter oder Reisevermittler wird somit anhand der Pauschalreise bestimmt und hängt nicht von der Bezeichnung, dem Statut oder der vorwiegenden Tätigkeit des Unternehmers ab. Der Reiseveranstalter ist also derjenige Unternehmer, der die angebotene oder verkaufte Pauschalreise vorbereitet, zusammengestellt und organisiert hat.
Man muss allerdings beachten, dass gemäß Art. 51-bis Tourismusgesetzbuch der Reisevermittler gesetzlich dem Reiseveranstalter gleichgestellt wird, wenn dieser dem Reisenden gewisse Informationen nicht mitgeteilt hat. So muss der Reisevermittler das standardisierte Informationsblatt übergeben, Informationen bezüglich des eigenen Unternehmens mitteilen (Handelsbezeichnung, Unternehmensadresse, Telefonnummer, E-Mail-Adresse), oder den Reisenden ausdrücklich darauf aufmerksam machen, dass das Unternehmen als Reisevermittler handelt.

Die Kündigung oder Abänderung eines Pauschalreisevertrags

Im Falle der Kündigung eines bereits geschlossenen Pauschalreisevertrages vor dem Beginn der Vertragsdurchführung sieht Art. 41 Tourismusgesetzbuch eine spezielle Regelung vor. Demnach kann der Reisende jederzeit vor Beginn der Vertragsdurchführung den Vertrag kündigen, wobei der Reiseveranstalter (und nicht der Reisevermittler) für die bereits gezahlten Kosten vergütet werden muss, insofern diese angemessen, nachvollziehbar und begründet sind. Weiterhin kann der Vertrag angemessene Kündigungskosten vorsehen.

Bei unvorhergesehenen und außerordentlichen Umständen im Land des Reiseziels oder dessen unmittelbaren Umgebung, hingegen, genießt der Reisende ein Kündigungsrecht (Art. 41 Abs. 4, Tourismusgesetzbuch). Die Umstände müssen dabei erhebliche Auswirkungen auf die Durchführung des Pauschalreises oder auf die Anreise/Rückreise des Reisenden haben. Das Kündigungsrecht ermöglicht dem Reisenden den Vertrag zu kündigen, ohne den Reiseveranstalter dafür vergüten zu müssen. Der Reiseveranstalter, hingegen, muss dem Reisenden den gesamten Betrag, den der Reisende für die Pauschalreise gezahlt hat, rückerstatten (Art. 41 Abs. 6 Tourismusgesetzbuch), wobei jedoch keine zusätzliche Entschädigung geschuldet ist. Die Rückerstattung muss unverzüglich und innerhalb von 14 Tagen erfolgen.
Wenn hingegen der Reiseveranstalter kündigt, hat der Reisende Recht auf eine zusätzliche Entschädigung, es sei denn die vorgesehene Mindestanzahl an Reisenden für die Pauschalreise wurde nicht erreicht oder unvorhergesehene und außerordentliche Umstände machen die Durchführung des Vertrages unmöglich, und die Kündigung wurde dem Reisenden unverzüglich mitgeteilt (Art. 41 Abs. 5 Tourismusgesetzbuch).

Wenn der Reiseveranstalter durch jedwede Umstände gezwungen ist, die touristischen Leistungen vor Beginn der Pauschalreise in erheblicher Weise abzuändern, kann der Reisende die Änderungen akzeptieren oder den Vertrag kostenlos kündigen (Art. 40 Abs. 2 Tourismusgesetzbuch). Auch in diesem Fall muss der Reiseveranstalter den bezahlten Preis unverzüglich und innerhalb von 14 Tagen rückerstatten. Wenn der Reisende in diesem Fall kündigt, kann der Reiseveranstalter eine andere qualitativ gleichwertige oder wertvollere Pauschalreise anbieten. Wenn aber die abgeänderte Pauschalreise oder die Ersatzreise qualitativ oder kostenmäßig geringer ist, hat der Reisende Anrecht auf eine Preisreduzierung.

Die außerordentliche Gesetzgebung für die Coronavirus-Epidemie

Mit dem Ausbruch der COVID-19 Epidemie wurde eine Sonderregelung für die Kündigung von Pauschalreisen eingeführt, die sich ausschließlich auf diesen besonderen außerordentlichen Umstand bezieht. Art. 28 Abs. 5 Gesetzesdekret Nr. 9 vom 2. März 2020 bestimmt, dass bestimme Kategorien von Reisenden das Kündigungsrecht laut Art. 41 Abs. 4 Tourismusgesetzbuch genießen, wenn die Pauschalreise in Zeiten des Krankenhausaufenthaltes, der Quarantäne oder des Aufenthalts zu Hause mit aktiver Überwachung und während des epidemiologischen Notfalls durch COVID-19 in den von Ministerialdekreten bestimmten Risikogebieten hätte durchgeführt werden müssen. Allerdings hat der Reiseveranstalter in diesem Fall der Kündigung drei verschiedene Möglichkeiten:
1) er kann – wie im Falle von Art. 40 Tourismusgesetzbuch – dem Reisenden eine andere Pauschalreise anbieten, die qualitativ gleichwertig oder besser ist;
2) er kann den vom Reisenden bezahlten Preis ohne zusätzliche Entschädigung gemäß Art. 41 Abs. 4 und 6 Tourismusgesetzbuch vollständig rückerstatten;
3) er kann einen Gutschein („voucher“) im Wert der gänzlichen Rückerstattung und mit Gültigkeit von einem Jahr ab Ausstellungsdatum ausstellen.

Diese Möglichkeiten sind alternativ, wobei die Wahl dem Reiseveranstalter obliegt. Da allerdings die erste Option vom Einverständnis des Reisenden abhängt, kann der Reiseveranstalter bei fehlender Zustimmung des Reisenden die vollständige Rückerstattung des bezahlten Preises nur durch die Ausstellung eines Gutscheins vermeiden.

Sechs Kategorien von Reisenden, die in Art. 28 Abs. 1 GD Nr. 9/2020 gelistet sind, genießen dieses Kündigungsrecht:
a) Personen, die sich durch Anordnung der kompetenten Sanitätsbehörde in Quarantäne oder im Aufenthalt zu Hause mit aktiver Überwachung befinden;
b) Personen, die in kontaminierten Gebieten wohnen, ihr Domizil haben oder sich von dort aufgrund einer Maßnahme nicht entfernen dürfen;
c) Personen, die mit dem Virus COVID-19 infiziert sind und sich in Quarantäne, im Aufenthalt zu Hause mit aktiver Überwachung oder im Krankenhaus befinden;
d) Personen, die Aufenthalte oder Reisen mit Abreise oder Ankunft in Risikogebieten geplant haben;
e) Personen, die die Teilnahme an öffentlichen Wettbewerben oder öffentlichen Auswahlverfahren oder an jedweder Veranstaltung geplant haben, welche aber von den kompetenten Behörden annulliert, aufgehoben oder verschoben wurden;
f) Inhaber von in Italien erworbenen Reisedokumenten mit Reiseziel in Drittstaaten, in denen der Ausstieg, die Landung oder die Ankunft aufgrund der COVID-19 Epidemie verboten ist.

Die betroffenen Risikogebiete wurden mit Dekret des Präsidenten des Ministerrats laut Art. 3 GD Nr. 6/2020 bestimmt und zuletzt auf das gesamte Staatsgebiet ausgedehnt:
1) DPM vom 23. Februar 2020: die Gemeinden Bertonico, Casalpusterlengo, Castelgerundo, Castiglione D‘Adda, Codogno, Fombio, Maleo, San Fiorano, Somaglia, Terranova dei Passerini (in der Region Lombardia); Vo’ (in der Region Veneto);
2) DPM vom 1. März 2020: die Gemeinden der Provinzen Pesaro e Urbino und Savona sowie Bergamo, Lodi, Piacenza und Cremona;
3) DPM vom 8. März 2020: die Provinzen Modena, Parma, Piacenza, Reggio nell’Emilia, Rimini, Pesaro e Urbino, Alessandria, Asti, Novara, Verbano-Cusio-Ossola, Vercelli, Padova, Treviso, Venezia;
4) DPM vom 9. März 2020: das gesamte Staatsgebiet.

Durch diese spezifische Regelung wurde die ordentliche Gesetzgebung allerdings nicht außer Kraft gesetzt. Das bedeutet, dass der Reiseveranstalter nur für die Kategorien von Reisenden in Art. 28 Abs. 1 GD Nr. 9/2020 eine Ersatzreise anbieten oder einen Gutschein ausstellen kann und nur für die Dauer der Situationen, auf denen diese Kategorien beruhen. Die aktuellen Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus sind bis zum 13. April anwendbar, allerdings wird dies höchstwahrscheinlich verlängert. Für andere Reisende – die nicht Teil einer Kategorie sind oder deren Pauschalreise nach dem 13. April beginnt und die eine Kündigung eingereicht haben – findet die Regelung nach Art. 41 Tourismusgesetzbuch Anwendung.

Abschließend wird darauf hingewiesen, dass diese außerordentliche Regelung ausdrücklich „Eingriffsnormen“ sind (Art. 28, Abs. 8 GD Nr. 9/2020). Es handelt sich also um Bestimmungen, die Vorrang gegenüber den vertraglichen Bestimmungen und dem im Vertrag anwendbaren Recht einnehmen und nicht durch Vereinbarung abgewichen werden können (Art. 17 Gesetzes vom 31. Mai
1995, Nr. 218; Art. 9 EU-Verordnung Nr. 593/2008)

RA Silvia Giuliani
Dott.Mag. Andreas Schmiedhofer